"Die hinter diesem Aufruf steckende Idee ist bemerkenswert perfide und niederträchtig", empört sich Britta Altenkamp, Vorsitzende der AWO Bezirksverband Niederrhein. Minderjährige, die ohne Eltern in Deutschland leben, haben nach deutscher Rechtslage Anspruch auf einen Vormund. Ein Vormund ist als rechtlicher Vertreter seines Mündels verpflichtet, sich vorbehaltlos für die Belange und Interessen des ihm anvertrauten Minderjährigen einzusetzen. Für diese verantwortungsvolle Aufgabe wird der Vormund von einem Familiengericht bestellt. Sollte es also einem rechtsextremistischen Anwärter auf eine Vormundschaft gelingen, seine wahren Motive gegenüber dem Familiengericht zu verschleiern und sich als verantwortungsvolle Persönlichkeit zu präsentieren, die sich vorbehaltlos für die Interessen des ihm anvertrauten Kindes oder Jugendlichen einsetzen wird, so würde hier im schlimmsten Sinne der Bock zum Gärtner gemacht. Ein schutzbedürftiger, vielleicht gar traumatisierter Minderjähriger wäre dann ausgerechnet einem Erwachsenen ausgeliefert, der ihn am liebsten auf dem schnellsten Wege zurück in sein Heimatland schicken würde.
Mit ihrem aus Mitteln der Aktion Mensch geförderten Projekt „Vertrauenssache – Vormundschaften für junge Flüchtlinge“ engagiert sich die AWO Niederrhein seit 2016 aktiv für die Vermittlung ehrenamtlicher Vormünder an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Denn anders als Amts- oder Vereinsvormünder, die vielfach bis zu 50 Mündel gleichzeitig betreuen müssen, bietet die ehrenamtliche Einzelvormundschaft günstige Voraussetzungen für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Vormund und Mündel und damit letztlich auch für eine erfolgreiche Integration. Darüber hinaus können ehrenamtliche Vormünder über die Volljährigkeit hinaus den Kontakt zu ihrem Mündel halten und ihm beispielsweise beim Einstieg ins Berufsleben wertvolle Hilfe bieten.
Vor diesem Hintergrund verurteilt die AWO Niederrhein den Aufruf der 'Identitären Bewegung' aufs Schärfste und macht gleichzeitig darauf aufmerksam, dass der hier von Rechtsextremisten angedachte Missbrauch des deutschen Vormundschaftsrechtes durch die Art des Bewerbungsverfahrens effektiv bekämpft werden kann. Wie in ähnlichen Projekten anderer Wohlfahrtsverbände auch, prüft die AWO in ihrem Projekt „Vertrauenssache“ in strukturierten Vorstellungsgesprächen die Geeignetheit der ehrenamtlichen Bewerber*innen. Diese erhalten zusätzlich eine umfassende Qualifizierung, um auf ihre Aufgabe gut vorbereitet zu sein. Nach einem positiven Ergebnis und Vorlage eines Führungszeugnisses macht sich im Anschluss das Jugendamt von den Bewerber*innen ein Bild und schlägt schließlich dem Familiengericht die geprüften und qualifizierten Personen für eine Vormundschaft vor. Dass sich in einem solch aufwendigen Bewerbungsverfahren rechtsextremistisch motivierte Personen durchschleusen, ist nicht unmöglich, aber hoch unwahrscheinlich.
Die Flüchtlingszahlen sind in Deutschland im Laufe der beiden letzten Jahre rapide gesunken. Dennoch reisen in NRW nach wie vor pro Monat rund 200 bis 300 junge Menschen ohne elterliche Begleitung ein, die vor Krieg, Verfolgung, Perspektivlosigkeit oder extremer Armut in ihren Heimatländern geflohen sind. Britta Altenkamp stellt fest: "Diese Jugendlichen haben ein Recht auf ein faires Asylverfahren und brauchen einen Menschen an ihrer Seite, der sich mit dem Behördensystem in Deutschland auskennt und sich für ihre Rechte einsetzt." Deshalb ruft die AWO Niederrhein Menschen, die sich tatsächlich für das Wohl der Flüchtlinge einsetzen wollen dazu auf: „Werden sie Vormund für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling – jetzt erst recht!“