90 7.4 Neue Zielgruppen und Formen – Impulse für die Verbandsentwicklung In einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft stoßen klassische Mitgliedsverbände, die historisch vor allem bildungsbürgerliche Milieus ansprechen, an strukturelle Grenzen. Wenn es um Reichweite, gesellschaftliche Legitimation und Innovationsfähigkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen geht, wird immer deutlicher: Die Öffnung gegenüber neuen Zielgruppen ist kein optionales Add-on, sondern eine zentrale Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit. Diese neuen Zielgruppen bringen nicht nur andere Lebenserfahrungen und Erwartungen mit, sondern auch neue Formen des Engagements. Sie denken Beteiligung weniger in langfristigen Verpflichtungen, sondern in flexiblen Rollen, zeitlich befristeten Projekten oder digitalen Räumen. Diese veränderten Engagementlogiken sind nicht nur Ausdruck gesellschaftlicher Transformation – sie bieten auch Chancen, zivilgesellschaftliche Strukturen zu beleben und weiterzuentwickeln. Die folgenden Abschnitte beleuchten zentrale Zielgruppen, ihre jeweiligen Bedürfnisse und Potenziale sowie die damit verbundenen Engagementformen und organisationalen Herausforderungen. 7.4.1 Neue Zielgruppen – neue Engagementlogiken Junge Erwachsene, Studierende, Berufseinsteiger*innen Viele junge Menschen zeigen ein starkes Interesse an gesellschaftlicher Teilhabe. Allerdings unterscheidet sich ihre Engagementlogik deutlich von traditionellen Erwartungen. Statt einer langfristigen Vereinsbindung stehen für sie Aspekte wie Sinnstiftung, die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung und das Erleben von Gemeinschaft im Vordergrund. Was junge Menschen motiviert, ist vielmehr das Gefühl, einen konkreten Beitrag leisten zu können – am besten im Rahmen zeitlich begrenzter Projekte mit klarer Zielsetzung. Sie engagieren sich zunehmend projektbezogen, thematisch und zeitlich begrenzt. Ihre Motivation liegt häufig in Sinnsuche, Selbstwirksamkeit und sozialer Verbundenheit, weniger in langjähriger Vereinsbindung. Die klassische Mitgliedschaft wirkt auf viele als starr und pflichtorientiert – demgegenüber stehen Bedürfnisse nach Gestaltungsfreiheit, Community-Erlebnis und Feedbackkultur. Studien empfehlen in diesem Zusammenhang sogenannte „projektbasierte Mitgliedschaften“, bei denen die Mitwirkung an einem Vorhaben mit einer optionalen, temporären Zugehörigkeit zur Organisation verknüpft ist. Auch Mentoringformate, bei denen hauptamtlich Mitarbeitende junge Engagierte begleiten, oder Co-Kreation-Prozesse, bei denen junge Menschen eigene Ideen entwickeln und umsetzen können, bieten gute Anknüpfungspunkte (Milovanovic et al. 2022). Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung: Diese Zielgruppe ist in klassischen Verbandsstrukturen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert – obwohl sie in informellen Kontexten, etwa in der Nachbarschaftshilfe oder in selbstorganisierten
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