Jenseits der Gewohnheit. Mitgliedschaft, Macht und Wandel neu denken

57 Informelles Engagement: Anstieg kurzfristiger, projektbasierter Engagementformen Seit einigen Jahren wird für Engagierte das informelle Engagement immer interessanter, wenngleich formelles Engagement, welches durch zivilgesellschaftliche Organisationen koordiniert wird, nach wie vor als häufigste Engagementform von Engagierten angegeben wird. Dennoch ist das Wachstum informell organisierten Engagements sehr stark und sollte nicht unterschätzt werden. Für die Ausübung informellen Engagements sprechen vor allem zeitlich flexible und projektbezogene Engagementmöglichkeiten, die sich einfacher mit den privaten und beruflichen Verpflichtungen gerade jüngerer Menschen vereinbaren lassen. Daten des Deutschen Freiwilligensurvey zeigen, dass Personen, die sich informell engagieren, deutlich mehr Zeit in ihr Engagement investieren als jene, die sich über Vereine engagieren. Dies steht im Widerspruch zu dem häufig geäußerten Eindruck, dass informelles Engagement unverbindlich, wechselhaft und kurzlebig sei: es erfordert augenscheinlich einen beträchtlichen persönlichen Einsatz (Karnick/ Simonson/ Hagen 2022; Schubert 2023). Im Zeitvergleich ist das Engagement in Vereinen und Verbänden zwischen 1999 und 2019 von rund 57 Prozent auf rund 52 Prozent gesunken, während das Engagement in individuell organisierten Gruppen im gleichen Zeitraum von etwa 10 Prozent auf etwa 17 Prozent stieg. Auch wenn der Unterschied im Engagement in Vereinen und Verbänden aktuell bei lediglich 5 Prozentpunkten liegt, ist dieser Trend in allen Erhebungswellen zu sehen und kann gerade für traditionelle Mitgliedsorganisationen besorgniserregend sein. Diese werden in Zukunft ihre Strukturen modernisieren müssen, um sich diesen Entwicklungen anzupassen und den Ansprüchen der Engagierten weiter gerecht zu werden. Hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die starren Strukturen von Vereinen, die unter anderem durch die Vereinssatzungen und gesetzlichen Vorgaben für eingetragene Vereine bedingt sind, den Vereinen in einigen Entscheidungen nur eingeschränkten Spielraum lassen (Deutscher Bundestag 2002; Schubert et al. 2022). Auswirkungen globaler und lokaler Krisen auf das Engagementverhalten Globale und lokale Krisen haben einen starken Einfluss auf die Ausgestaltung von Engagement. Die Corona-Pandemie beispielsweise führte in vielen Engagementbereichen zu einer vorübergehenden Einschränkung oder sogar Unterbrechung bestimmter Tätigkeiten, so zum Beispiel in Sportvereinen, im kulturellen und sozialen Bereich sowie in kirchlichen und religiösen Organisationen. Gleichzeitig hat diese Ausnahmesituation auch neue Engagementformen hervorgebracht. So konnten insbesondere informell organisierte Gruppen schnell und effektiv Nachbarschaftshilfen auf die Beine stellen, die beispielsweise für Risikogruppen oder nicht mobile Personen die Einkäufe erledigt und nach Hause gebracht haben. Digitale Unterstützungsangebote sind in dieser Zeit ebenfalls stark gestiegen und haben sich weiterentwickelt (Hutter et al. 2021; Tahmaz 2021; Van Den Berg et al. 2021). Auch humanitäre Krisen, wie Kriege und Fluchtbewegungen, können sich auf die Ausgestaltung von Engagement auswirken. So hat der immer noch andauernde Krieg in der Ukraine das Engagement in Deutschland stark beeinflusst, indem sich zahlreiche Menschen kurzfristig in der Flüchtlingshilfe engagierten. Ähnliches war bereits in den Jahren 2015 und 2016 während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ zu beobachten, oder auch nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2017b; Karakayali/ Kleist 2015; Kausmann/ Simonson/ Hameister 2022).

RkJQdWJsaXNoZXIy MTI4Nzg0OQ==