38 5.2.1 Macht und Transformation Das folgende Kapitel basiert auf Salverda (2023). Transformation wird hier als Prozess radikaler Veränderungen und Brüche verstanden. In den Auseinandersetzungen zwischen Altem und Neuem üben alle Seiten Macht aus, um die Richtung des Wandels zu beeinflussen. Besonders das ‚Neue‘ ist zunächst schwach und benötigt starke Macht, um sich behaupten zu können. Ein besonderer Zugang zur Macht liegt im Konzept des Situationspotenzials: Gemeint sind all jene Faktoren, die in einer konkreten Situation von selbst in die gewünschte Richtung wirken. Statt mit viel Kraftaufwand zu kämpfen, besteht machtvolles Agieren in Organisationen systemisch gedacht darin, diese Potenziale zu erkennen und mit minimalem eigenem Einsatz für die eigenen Interessen zu nutzen. Der berühmte Stein auf dem Hügel besitzt Potenzial – alles, was es braucht, ist der richtige Moment, um ihn ins Rollen zu bringen. Dafür ist es notwendig, die Situation aufmerksam zu beobachten, sich flexibel anzupassen und mit möglichst wenig Aufwand zu agieren. 5.2.2 Ein Kontinuum von interpersoneller zu struktureller Macht Macht lässt sich als Kontinuum verstehen, das von der individuellen Ebene bis hin zu umfassenden gesellschaftlichen Strukturen reicht. Im Folgenden werden vier zentrale Dimensionen von Macht vorgestellt, die jeweils unterschiedliche Aspekte und Wirkmächtigkeiten von Machtprozessen beleuchten. Am Anfang des Kontinuums steht das individuelle Machtpotenzial – also die Fähigkeit oder Eigenschaft einer Person, Macht zu entfalten. Nach Kaufmann (1968) und Wolf (1989) ist dies die grundsätzliche „Potenz“ oder Kapazität, die ein Individuum mitbringt. Dieser Zugang lenkt die Aufmerksamkeit auf die Ausstattung von Personen im Spiel der Macht, sagt aber noch wenig über die konkrete Ausübung oder Richtung dieses Potenzials aus. Hier geht es um das, was Menschen an Ressourcen, Fähigkeiten oder Einfluss grundsätzlich mitbringen. Die nächste Stufe ist die klassische Definition von Macht nach Max Weber (1964, 28): Macht bedeutet „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. Hier stehen also die Durchsetzungsfähigkeit und die konkrete Umsetzung von eigenen Interessen im Zentrum – auch gegen Widerstände. In diesem Zusammenhang werden Begriffe wie Gewalt, Zwang und Autorität relevant. Die Fähigkeit, den eigenen Willen durchzusetzen, kann verschiedene Formen annehmen – von autoritärer Einflussnahme bis hin zur Anwendung von Gewalt. Eine dritte Dimension von Macht ist die Kontrolle über die Rahmenbedingungen, unter denen Entscheidungen und Handlungen stattfinden. Hier geht es um die Möglichkeit, nicht nur direkte Entscheidungen zu treffen, sondern auch durch ‚Nicht-Entscheidungen‘, Gesetze oder Verträge die Spielregeln zu setzen. Wolf (1989) beschreibt dies als jene Form von Macht, die die Kontexte kontrolliert, in denen Menschen ihre Potenziale entfalten und miteinander interagieren. Steven
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