37 ohne dass die einzelnen Regeln explizit gemacht werden. Dadurch werden oft neue Sichtweisen und Entwicklungsmöglichkeiten blockiert, weil bestimmte Alternativen schlichtweg nicht wahrgenommen oder diskutiert werden. Will man an dieser Stelle Veränderungen anstoßen, reicht es nicht, neue Vorschriften zu erlassen. Viel wichtiger ist es, gewohnte Routinen, Tabus und die dahinterliegenden Erwartungen zu erkennen und ins Gespräch zu bringen. Erst wenn diese verborgenen Muster offen thematisiert und reflektiert werden, entsteht Raum für Weiterentwicklung. Kulturarbeit heißt, gerade dort anzusetzen: am Kern des täglichen Miteinanders, an den Verhaltensweisen und Haltungen, die unbewusst das Klima und die Strukturen einer Organisation prägen. Judith Dubiski weist darauf hin, dass „bestehende strukturelle und rechtliche Rahmen echte Veränderung“ bremsen, Tabus und ritualisierte Praktiken den Horizont begrenzen (Dubiski 2025, 127). Die sichtbaren Regeln einer Satzung sind also nur die Eisbergspitze; stärker wirken die unsichtbaren Spielregeln – wer eröffnet, wessen Wort zählt, wer darf Nein sagen. Kulturarbeit beginnt, wenn diese impliziten Routinen ausgesprochen werden. 5.2 Der systemische Blick auf Macht Macht ist ein zentrales Thema in jeder Form von Transformation – ohne Macht lässt sich grundlegender Wandel nicht denken. Dennoch wird Macht häufig ambivalent betrachtet. Theorien über Macht sind hilfreich, um praktische Herausforderungen besser zu verstehen und im Umgang mit Komplexität Orientierung zu bieten. Insbesondere ein systemisches Verständnis eröffnet neue Perspektiven darauf, wie Macht entsteht, wirkt und gestaltet werden kann. Im Zentrum stehen drei Zugänge: Konstruktivismus, Systemtheorie und Kybernetik. Konstruktivismus besagt, dass Macht kein objektiv beobachtbarer Gegenstand ist, sondern eine von mehreren möglichen Erklärungen für menschliches Verhalten. Was wir als Macht interpretieren, hängt von der Perspektive der Beobachter*innen und vom jeweiligen Kontext ab. Menschen erleben und bewerten Machtbeziehungen höchst unterschiedlich. Kybernetik richtet den Blick darauf, wie Ursache und Wirkung im sozialen Miteinander unterschiedlich definiert werden – etwa die Frage, wer ‚angefangen‘ hat. Machtkommunikation verbindet alle Beteiligten miteinander und schafft spezifische Machtkontexte. In solchen Kontexten ist es unmöglich, nicht über Macht zu kommunizieren. Machtdynamiken können entweder symmetrisch (in endlosen Schleifen) oder komplementär (als eskalierende Konflikte) verlaufen. Systemtheorie beschreibt Macht als ein Interaktionssystem, das durch die Beiträge aller Beteiligten entsteht und aufrechterhalten wird. Machtpotenziale sind dabei auf allen Seiten erforderlich. Gewalt wird in diesem Verständnis als Zerstörung von Macht auf allen Seiten gesehen, während sich Macht durch ihr eigenes Wirken erhält.
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