34 Haas spricht von einem „strukturellen Zielkonflikt“ (2025, 98) zwischen verlässlicher Satzung und flexibler Beteiligung. Systemisch gilt: Jeder Impuls wird daran gemessen, ob er sich in die vorhandenen Sinn- und Entscheidungsmuster einfügt. Anschlussfähigkeit wird so zum Erfolgsfaktor, ‚organisatorische Blindheit‘ zum Risiko. 5.1.3 Strukturkopplung mit Umwelt In der systemtheoretischen Organisationstheorie wird unter struktureller Kopplung ein besonderes Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt verstanden. Beide Seiten behalten ihre Eigenlogik bei, treten aber in eine stabile Beziehung ein, die auf wiederkehrenden Reiz-/Antwortmustern beruht. Organisationen sind operativ geschlossen, da sie ihre Entscheidungen auf Grundlage eigener Strukturen und Routinen treffen. Zugleich sind sie ‚kognitiv‘ offen: Irritationen aus der Umwelt können aufgenommen werden, sofern innerhalb der Organisation Erwartungen und Strukturen existieren, die diese Reize als anschlussfähig verarbeiten (Luhmann 2000). Dieses Konzept beschreibt ein dynamisches Wechselspiel. Organisationen orientieren sich kontinuierlich an relevanten Umweltbedingungen, ohne dabei ihre Autonomie aufzugeben. Erwartungsstrukturen und Entscheidungsmuster wirken wie Filter: Sie bestimmen, welche Umweltreize Bedeutung erlangen und in interne Veränderungsprozesse übersetzt werden. So entstehen Anpassungen, die nicht von außen ‚verordnet‘ sind, sondern durch die organisationsspezifische Verarbeitung geformt werden (Knudsen 2011). Wandel vollzieht sich daher nicht als lineare Kausalität im Sinne direkter Steuerung, sondern als Drift: fortgesetzte gegenseitige Anpassung zwischen Organisation und Umwelt. Veränderungen werden angestoßen, doch ihre konkrete Ausgestaltung bleibt Ergebnis der internen Logik des Systems. Organisationen reduzieren auf diese Weise die Komplexität ihrer Umwelt, indem sie bestimmte Reize selektiv aufnehmen und in eigene Kommunikations- und Entscheidungsprozesse integrieren. Strukturelle Kopplung ist damit eine zentrale Bedingung für die Lern- und Entwicklungsfähigkeit von Organisationen. Sie hält die Organisation empfänglich für Wandel, ohne ihre operative Eigenständigkeit zu untergraben (Arango-Vasquez u.a. 2021). 5.1.4 Mythos der Rationalität in Organisationen In vielen Organisationen wird gerne behauptet, Entscheidungen könnten nach rein rationalen Maßstäben getroffen und gesteuert werden. Fritz B. Simon beschreibt dieses Phänomen als „Mythos der Rationalität“: Ein Narrativ, das dazu dient, Komplexität und Unsicherheit beherrschbar wirken zu lassen, obwohl die tatsächlichen Möglichkeiten zur Steuerung in sozialen Systemen naturgemäß begrenzt sind. Die Vorstellung planvoller Steuerung vermittelt Sicherheit nach innen und außen, bleibt aber oftmals ein Wunschbild – Organisationen erzeugen dadurch vor allem ein Gefühl von Verlässlichkeit (Simon 2009).
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