Jenseits der Gewohnheit. Mitgliedschaft, Macht und Wandel neu denken

33 men der Gesellschaft verflochten: rechtlich (Vereins-, Stiftungs-, Körperschaftsrecht), ökonomisch (Finanzierungsströme) und medial (öffentliche Kommunikation). Diese Kopplungen gewährleisten Autonomie, erzeugen jedoch kontinuierliche Irritationen, da Veränderungen in den Funktionssystemen Anpassungszwang auslösen (Luhmann 2000). Eine Organisation ist also kein Gegenstand, sondern ein fortlaufender Prozess sinnhaft verknüpfter Kommunikationen und Entscheidungen, der sich selbst erzeugt (autopoietisch) und durch Unterscheidung von innen und außen stabil hält. Sie existiert nur, solange ihre Mitglieder immer wieder anschlussfähige Gespräche, Beschlüsse, Rituale und Symbole hervorbringen. Karl E. Weick beschreibt Organisationen als „Verben statt Substantive“: Sie existieren nur, solange Menschen gemeinsam Bedeutung konstruieren (Weick 1979). Begriffe wie Mitglied, Ehrenamt oder Projekt sind keine neutralen Etiketten, sondern entscheiden darüber, wer dazugehört und welche Handlungsoptionen wahrgenommen werden. Haas’ Expertise erinnert: „Begriffe strukturieren Wahrnehmungen, schaffen Identitäten und legitimieren Rollen – sie sind Ausdruck institutioneller Logiken“ (Haas 2025, 102; vgl. auch Kapitel 7.2). Praxis-Impuls: Wenn wir den Begriff Mitglied um zeitlich befristete Mitmacher ergänzen, verschieben wir sofort das Vorstellungsbild von Bindung, Beitrag und Legitimation. Begriffspolitik ist also Organisationspolitik. 5.1.2 Selbstreferenz und Pfadabhängigkeit Organisationen entwickeln ihre Struktur und ihre Entscheidungsprozesse stets in Bezug auf das, was bereits besteht. Neue Entscheidungen sowie daran anschließende Handlungen und Kommunikationen knüpfen fast immer an etablierte Abläufe, Routinen und Vorstellungen an. So wird jede weitere Entscheidung von der Vergangenheit und gewachsenen Erwartungen beeinflusst. Dieses Rückgreifen auf vertraute Muster sorgt dafür, dass Komplexität reduziert wird: Nur bestimmte Optionen erscheinen realistisch und werden tatsächlich in Betracht gezogen (Luhmann 2000). Mit der Zeit entsteht hieraus eine starke Bindung an gewählte Wege und Lebensläufe – die sogenannte Pfadabhängigkeit. Was einmal eingeführt, beschlossen oder erfolgreich praktiziert wurde, kann künftige Möglichkeiten begrenzen und Alternativen erschweren. Frühere Entwicklungen setzen so einen Rahmen, der Identität und Stabilität schafft, aber schnelle und grundlegende Veränderungen oft behindert. Sogar unwichtige Zufälle zu Beginn eines Prozesses können über lange Zeit nachwirken, weil Organisationen dazu neigen, bewährte Pfade nicht freiwillig zu verlassen. In diesem Wechselspiel zwischen Beharrung und Wandel liegt ein zentrales Spannungsfeld organisationaler Entwicklung. Einerseits bieten Satzungen und Routinen Verlässlichkeit und Orientierung, andererseits können sie neue Beteiligungsformen und innovative Ansätze behindern. Ob Impulse von innen oder außen aufgegriffen werden, hängt deshalb davon ab, wie gut sie zu den bestehenden Sichtweisen und Entscheidungslogiken passen. Andernfalls laufen sie Gefahr, von den Handlungstraditionen einer Organisation übersehen oder ungehört zu bleiben (David 1985; Sydow/Schreyögg/Koch 2009).

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