Jenseits der Gewohnheit. Mitgliedschaft, Macht und Wandel neu denken

32 Für die Befassung mit Entwicklungsperspektiven von Mitgliedsorganisationen ist es hilfreich, sich mit Organisation als (sozialem) System und den Grundlagen eines systemischen Verständnisses von Entwicklung und Wandel auseinanderzusetzen. Wir haben im Kontext des Projektes die Erfahrung gemacht, dass ein solches (gemeinsames) Verständnis helfen kann, Beobachtungen im Themenkontext einzuordnen und zu deuten sowie Dynamiken und Muster zu erkennen, Hypothesen zur Frage „Was ist da los?“ zu bilden und dazu Lösungen, Aufgaben, Schritte abzuleiten. Das folgende Kapitel bietet einen möglichen theoretischen ‚Anpack‘: es stellt dafür ausgewählte fachliche Konzepte und Begriffe zur Verfügung. In diesem Kapitel beziehen wir uns vorrangig auf den systemischen Konstruktivismus von Niklas Luhmann, der auf der Annahme beruht, dass Wirklichkeit in sozialen Systemen konstruiert wird, dass es also keine objektive Realität gibt, sondern dass jedes soziale System, jede Person seine/ihre eigene Wirklichkeit erschafft, indem es/sie je eigene Beobachtungen, Beschreibungen und Bewertungen in diesem Fall des Gegenstandes ‚Organisation‘ konstruiert. Diese Annahme hat eine weitgehende Bedeutung im Ringen um eine ‚richtige‘ Beschreibung einer Situation, ‚die eine‘ wirksame Lösung eines Problems usw.: es gibt sie nämlich nicht. Von der ‚reinen‘ systemisch-konstruktivistischen Sichtweise auf Organisation weichen wir dort ab, wo wir das Thema „Warum Gefühle zentral sind“ sowie das Thema „Psychologische Sicherheit (in Organisationen)“ einführen. In der klassischen systemisch-konstruktivistischen Organisationstheorie sind Personen als psychische Systeme die „Umwelt“ der Organisation; konstruktivistisch gedacht kommen sie lediglich in ihrer organisationalen Rolle und Aufgabe vor. Personen in Organisationen sind austauschbar, die von Personen ausgeübten Rollen hingegen sind struktureller Bestandteil der Organisation. Wer das vertiefen möchte, findet dazu zum Beispiel in den Büchern von Fritz B. Simon ausreichend Gelegenheit (Simon 2009). 5.1 Systemische Grundlagen 5.1.1 Organisation als Funktionssystem der Gesellschaft Niklas Luhmann konzipiert Gesellschaft als ein einziges, globales System sozialer Kommunikation. Alles, was kommunikativ thematisiert wird, ist systemintern; Menschen, Artefakte oder Naturphänomene fungieren demgegenüber als Umwelt. Um die hieraus resultierende Komplexität handhabbar zu machen, differenziert sich die moderne Gesellschaft funktional. Organisationen stellen in diesem Rahmen eine besondere Systemform dar. Ihre Grundoperation ist die Entscheidung: Durch fortlaufende Entscheidungen – etwa über Mitgliedschaft, Ressourcenzuteilung oder Verfahrensregeln – reproduzieren sie ihre eigene Struktur. Mitgliedschaft markiert dabei eine scharfe Binnen-/Außen-Grenze, sodass Organisationen im Unterschied zur allumfassenden Gesellschaft exklusiven Charakter besitzen. Hierarchie, Programme und Rollen fungieren als Entscheidungsprämissen, die alternative Möglichkeiten einschränken und Machtasymmetrien institutionalisieren. Zugleich sind Organisationen über strukturelle Kopplungen mit Funktionssyste-

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