131 Dieser Perspektivwechsel lässt sich auf die Frage nach der Gewinnung von Menschen für das ‚Angebot‘ von Vereinen und Verbänden übertragen. Die relevante Frage lautet dann nicht: Mit welchemMittel erreichen wir Menschen außerhalb unserer ‚bubble‘? Wie müssen wir sozusagen unser Instrument schärfen, damit wir sie besser treffen? Stattdessen ist zu fragen: Was an unserem Angebot ist für wen unter welchen Bedingungen nützlich, tauglich und gebrauchbar? Inwiefern können welche Aspekte dessen, was Menschen bei uns erleben und erfahren, dazu dienen, dass sie ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten können? Diese Fragen scheinen die Motivation und die Entscheidung für oder gegen ein Engagement auf individualistische Aspekte zu verengen. Im Kontext von Vereinen und Verbänden, in denen es gerade nicht um das individuelle Fortkommen und die Befriedigung individueller Bedürfnisse geht, wirkt diese Denkweise eher fremd. Als Irritationspotenzial dient sie aber möglicherweise gerade deshalb: Es geht nicht darum, die individuelle Verwertbarkeit von Engagement hervorzuheben. Vor dem Hintergrund beispielsweise der im Vierten Engagementbericht identifizierten Schwellen für Engagement (vgl. Abschnitt 8.4.3) lenkt die Nutzer*innen- bzw. Nutzungsperspektive die Aufmerksamkeit vielmehr darauf, dass Vereine und Verbände sich ihrer eigenen Milieugebundenheit, ihrer sozialen Ausschlussmechanismen, ihres naturgemäß verengten Blicks auf ‚Zielgruppen‘ bewusst werden müssen. Organisationsformen, Sprechweisen, Kommunikationskanäle, physische Orte und Zeiten und so weiter können aus Sicht eines Vereins oder Verbandes ihre Begründung und Berechtigung haben, für Menschen aus anderen Teilen der Bevölkerung aber vollkommen jenseits von allem sein, was aus ihrer Sicht und für ihr Leben in irgendeiner Weise tauglich, nützlich und gebrauchbar ist. Selbst wenn Menschen das übergeordnete Ziel und grundlegende Werte eines Verbands eigentlich teilen und beispielsweise Naturschutz für essenziell halten, kann das Angebot eines Verbands dann für sie un-nütz sein. Was für sie stattdessen tauglich, nützlich und gebrauchbar wäre, erfährt man aber möglicherweise nicht, wenn man nur verbandsintern darüber nachdenkt. 8.4.2 Mitgliedschaft als Transformationserfordernis Diese Begrenzung des eigenen Sichtfelds lässt sich sowohl mit Blick auf Menschen, die für das Engagement gewonnen werden könnten/sollen, als auch hinsichtlich der Strukturen der Engagementlandschaft, auf Vereine und Verbände feststellen. Im Projekt „SOUNDS - Solidarisches Handeln in der Jugendverbandsarbeit und verbandlichen Selbstorganisation. Neue Formen von Solidarität“17 wurde dies am Beispiel der Jugendverbandslandschaft deutlich. Die leitenden Fragen des Forschungsprojekts lauteten: „Auf welche Weise können Selbstorganisationen junger Menschen an den Strukturen des Jugendverbandssystems teilhaben, wie wird der Zugang reguliert?“ und „Wie wird Teilhabe und Ausschluss an jugendpolitischen Vertretungsstrukturen und Entscheidungsprozessen hergestellt und welche Bedeutung haben hierbei solidarische Praktiken?“ 17 Das Projekt wurde von Mitgliedern des Forschungsschwerpunktes Nonformale Bildung sowie des Instituts für interkulturelle Bildung und Entwicklung der Technischen Hochschule Köln durchgeführt und über das Programm „Teilhabe und Gemeinwohl“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTI4Nzg0OQ==