Jenseits der Gewohnheit. Mitgliedschaft, Macht und Wandel neu denken

125 Bezirks- bzw. Landes- und Bundesverbände bemühen sich, über die Entwicklung von Handbüchern, Leitfäden, digitalen Tools und das Vorhalten von Ansprechpersonen mit entsprechender Expertise die lokale Ebene in diesen Fragen zu unterstützen und zu entlasten. Jedoch: „Anstatt immer neue Werkzeuge zur Bewältigung der bürokratischen Hürden zu entwickeln, muss man vielleicht mal die Hürden hinterfragen: was davon braucht es denn wirklich?“ Die rechtlichen und bürokratischen Erfordernisse wirken nicht nur ermüdend und abschreckend auf die (potenziell) Engagierten, sondern schränken auch Kreativität und Gestaltungsmöglichkeiten ein. Dies gilt umso mehr, wenn (ehren- oder hauptamtliche) Funktionsträger*innen aus Sorge um die Erfüllung aller Vorgaben, aus alter Gewohnheit oder aus Bequemlichkeit auf bestehenden Verfahrensweisen beharren: „Also das, was ja irgendwie den Spaß raubt, ist dieses Denkverbot mit: ‚Das haben wir schon mal gemacht und das hat nicht funktioniert‘ oder (…) ‚Das können wir nicht machen, weil…‘. (…) Jemand kommt sehr motiviert an, will was tun und bekommt dann gesagt: ‚Wir können das nicht machen, weil…‘ Und das ist ja meistens nicht mit, ‚…weil das steht im Vereinsrecht‘, sondern eher ist es ja so: ‚Das haben wir schon mal gemacht oder unsere Erfahrung ist...‘“ Dann fehlt es an offenen Räumen für gleichberechtigte Mitsprache und Mitgestaltung, für neue Ideen und „einfach mal machen“: Es bedarf also struktureller und finanzieller Möglichkeiten für die niedrigschwellige Umsetzung neuer Ideen, für Experimente und damit auch für potenzielles Scheitern. Dies gilt umso mehr, wenn man davon ausgeht, dass Menschen sich engagieren wollen, wo und wenn ihr Engagement möglichst unmittelbar sichtbare Wirkung erzeugt. Insbesondere in politischen Fragen sind die Prozesse aber oftmals langwierig und führen selten unmittelbar zum gewünschten Ergebnis. Wenn dann schon das Engagement selbst aufgrund struktureller und administrativer Hürden kompliziert und voraussetzungsvoll ist, kommt es zu umso mehr Frustration. 8.3.4 Hypothese D: Das etablierte Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamt ist eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Haupt- und Ehrenamt stehen in einem vielschichtigen wechselseitigen Verhältnis zueinander. Die Schnittstellen sind von zentraler Bedeutung für die Funktionalität eines Verbands und deshalb wichtiger Gegenstand von Reflexions- und Entwicklungsprozessen. Zugleich lassen sich insbesondere hier Selbstverständnisse, ritualisierte Praktiken und Strukturen ausmachen, die sich offenbar der kritischen Reflexion entziehen (siehe Hypothese F, 8.3.6). So gehört es zu den Glaubenssätzen zumindest größerer Verbände, dass Ehren- und Hauptamt aufeinander angewiesen sind: Ohne ehrenamtlich Engagierte könnten Vereine und Verbände ihre satzungsmäßigen Zielsetzungen und Zwecke nicht erfüllen, keine Projekte und Aktionen umsetzen – sie wären wie ein Gefäß ohne Inhalt. Ohne Hauptamtliche gingen den Verbänden verlässliche Strukturen verloren, die das Ehrenamt absichern und deren Engagement ermöglichen – das metaphorische Gefäß bekäme Löcher bzw. würde sich auflösen. Dies wird umso deutlicher angesichts der oben beschriebenen steigenden rechtlichen und administrativen Anforderungen, für

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