Foto: Patrick Zier
Ein Modellprojekt des AWO Bezirksverbands Niederrhein
Wer als Minderjähriger in Deutschland ohne elterliche Sorge lebt, weil zum Beispiel die Eltern verstorben sind, mit der elterlichen Sorge dauerhaft überfordert sind oder im Ausland leben, erhält einen Vormund. Dieser wird vom Familiengericht bestellt und setzt sich als rechtlicher Vertreter für die Belange und Interessen seines Mündels ein. In Deutschland gibt es vier Formen der Vormundschaft: die Amts-, die Vereins-, die Berufs- und schließlich die ehrenamtliche Einzelvormundschaft. Letztere ist dem Gesetz nach vorrangig. Denn bei einem ehrenamtlichen Vormund ist aufgrund seiner Motivationslage, so das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, „am ehesten eine familiär geprägte persönliche Beziehung zum Mündel zu erwarten“, außerdem ist es wahrscheinlicher als bei einem hauptamtlich beschäftigten Vormund mit bis zu 50 Mündeln, dass er seinen Mündel über die Schwelle der Volljährigkeit hinaus weiter begleitet. Vor diesem Hintergrund befasst sich der AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. seit mehreren Jahren intensiv mit den Potenzialen und Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaft.
Als Reaktion auf den Zuzug zahlreicher junger Flüchtlinge im Winter 2015/2016 initiierte er das aus Mitteln der Aktion Mensch geförderte Modellprojekt „Vertrauenssache“. Ziel dieses in den Jahren 2016-2019 umgesetzten Projektes war die Gewinnung, Qualifizierung, Vermittlung und Begleitung ehrenamtlicher Vormunde für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen initiierte der Bezirksverband darüber hinaus ein im April 2021 startendes Forschungsprojekt, welches die spezifischen Potenziale und Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaften wissenschaftlich in den Blick nimmt.
Angesichts der am 26. März 2021 verabschiedeten und zum 01. Januar 2023 in Kraft tretenden Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, welche u.a. eine weitere Stärkung der ehrenamtlichen Vormundschaft vorsieht, ist das Thema auch von aktueller jugendpolitischer Relevanz. Die Arbeiterwohlfahrt setzt sich gemeinsam mit anderen Wohlfahrtsverbänden für eine Vielfalt im Vormundschaftswesen ein, denn nur diese ermöglicht, dass jedes Mündel den für ihn jeweils am besten passenden Vormund erhält.
Forschungsprojekt „Potenziale und Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaft“
Mit einem Forschungsprojekt, welches der AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen über zwei Semester durchführt (SS 2021 bis WS 2021/22), werden die spezifischen Potenziale und Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaft, sowohl vor, als auch nach Erreichen der Volljährigkeit des Mündels, in den Blick genommen. Darüber hinaus sollen folgende Fragen beantwortet werden:
- Aus welchem Motiven heraus, mit welchem Selbstverständnis und welchen Strategien gestalten ehrenamtliche Vormunde den Kontakt zu ihren Mündeln und führen diesen über die Volljährigkeit hinaus fort?
- Wie beschreiben ehrenamtliche Vormunde die Wirkungen ihres Tuns? Welche Muster und Strategien lassen sich aus diesen Selbstbeschreibungen ableiten?
- Welche Faktoren erweisen sich als ausschlaggebend dafür, ob die intendierte Fortsetzung der Beziehung über die Volljährigkeit hinaus gelingt oder scheitert?
- Welche Strukturen sind auf kommunaler Ebene notwendig, damit sich das Modell der ehrenamtlichen Vormundschaft etablieren kann?
Diese und weitere Fragen werden durch eine Kombination quantitativer und qualitativer Ansätze der Sozialforschung eruiert. Geplant sind einzelfallbezogene und auf kommunale Strukturen fokussierte Fallstudien sowie eine vergleichende quantitative Befragung von haupt- und ehrenamtlichen Vormunden. Beabsichtigt ist eine vertiefende Datenerhebung und -auswertung insbesondere in den Kommunen Kreis Euskirchen, Stadt Köln und Bochum.
Ein ehrenamtlicher eingesetzter Beirat, bestehend aus Prof. Peter Hansbauer (Universität Münster), Henriette Katzenstein (Bundesforum Vormundschaften) und Dr. Miriam Fritsche (Kompetenzzentrum Pflegekinder Bremen) berät das Forschungsprojekt.
Dokumente zum Download: