Nadja Nikulin: Wo sind Sie aufgewachsen und wann sind Sie nach Deutschland gekommen?
Saeed Roostaei: Ich bin im Iran groß geworden. Nach meinem Fachabitur habe ich Tischler und Schweißer gelernt und in diesem Beruf dort gearbeitet. Vor fünf Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Ich habe hier kurz nach meiner Ankunft eine deutsche Familie kennengelernt, die mein neues zu Hause geworden ist. Darüber bin ich sehr froh. Ich habe viel Hilfe und Unterstützung von meiner deutschen Familie erhalten, denn mein Weg hier war auch nicht immer einfach.
Wie sind Sie zu der Arbeit in der Pflege gekommen?
Die Pflege im Iran hat eine ganz andere Bedeutung als in Deutschland. Wir pflegen die Senior*innen bei uns zu Hause. Und das machen eigentlich bei uns meistens nur die Frauen. Aber schon damals im Iran habe ich immer versucht, bei der Pflege älterer Familienmitglieder zu helfen, auch wenn das für manche etwas komisch war. Oft wurde gesagt, ich solle diese Arbeit nicht machen. Aber ich wollte immer helfen, das ist ‚etwas in mir drin‘. Die Arbeit mit Kindern macht mir ebenfalls sehr Spaß und ich hätte gern eine Ausbildung in dem Bereich gemacht. Aber ich habe mich schlau gemacht und verstanden, dass es viel zu Schreiben ist in der Ausbildung - das hat mir Angst gemacht. Jetzt helfe ich großen Kinder, das sagt man so oder? (lachen). Ich helfe Senior*innen und bin sehr zufrieden und arbeite sehr gerne. Meine Mutter hatte gesagt: ‚Wenn man arbeitet und danach nicht müde ist und immer noch Energie zum Arbeiten hat, dann ist es der richtige Beruf.‘ Und ja ... bei mir war es bisher so und ich habe das Gefühl, dass es auch so bleibt.
Das ist schön zu hören. Sie haben anfangs noch ein Praktikum im AWO Seniorenzentrum gemacht, da erinnere ich mich noch gut dran, um zu schauen, ob der Bereich der Altenpflege für Sie etwas ist. Vielleicht können Sie dazu in der zweiten Frage ein bisschen erzählen. Wie sind Sie zu dem Projekt INAR gekommen und welche Unterstützung erhalten Sie?
Das war wirklich mein Glück, das ich Sie und das Projekt INAR gefunden habe. Das ist wirklich schön, denn die Projektmitarbeiter*innen sind immer sehr hilfsbereit und haben mich auf meinem Weg zur Ausbildung unterstützt. Zuvor hatte ich bereits eine Ausbildung in einem anderen Altenheim begonnen, die ich aufgrund fehlender Papiere nicht weiterführen konnte. Dann bin ich zum AWO Willy-Könen-Seniorenzentrum in Neukirchen Vlyn gekommen und habe mich über das Projekt INAR erneut beworben. INAR hat sich bei der Bezirksregierung um die Anerkennung meines Schulabschlusses gekümmert, die ich dann in der Zwischenzeit erhalten habe. Somit durfte ich endlich wieder eine Ausbildung beginnen. INAR hat mir zunächst zu einem Praktikum im Seniorenzentrum geraten, um alles kennenzulernen. Und dann hat es mir gefallen und ich habe im April dieses Jahres die Ausbildung begonnen. Gerade hilft Imane Feqqoussi (Integrationslotsin) mir, einen B2-Deutschsprachkurs zu finden. Ich habe bereits einen besucht, muss aber noch die Prüfung absolvieren. Die Sprache zu lernen ist wirklich schwer und herausfordernd. Vor allem zusätzlich zur Arbeit, denn am Vormittag bin ich entweder im Seniorenzentrum oder in der Schule und kann somit nur am Nachmittag oder abends Deutsch lernen. Eine Dame an einer Schule hatte mal zu mir gesagt, ich müsse doch eigentlich nach der Arbeit eher ins Fitnessstudio gehen oder Yoga machen. Und ich sagte, ich muss aber weiter die deutsche Sprache lernen.
Das stimmt, das sind sehr anstrengende Jahre, die Sie sehr gut gemeistert haben. Sie waren und sind ganz stark dabei, ich denke, Sie sind weiter auf dem richtigen Weg. Sind sie hier im AWO Willy-Könen-Seniorenzentrum in Neukirchen-Vluyn gut angekommen?
Im Februar 2021 habe ich das Praktikum im AWO Seniorenzentrum gestartet. Am 1. April 2021 habe ich meine Ausbildung begonnen. Ich fühle mich hier wohl und arbeite auch gerne. Es macht mir Spaß, wenn ich hier bin und das bekomme ich auch von den Senior*innen wieder zurück. Die Senioren*innen sind zufrieden, wenn Sie mit mir zusammen sind, und ich höre auch von meinen Kolleg*innen, dass sie mit meiner Arbeit zufrieden sind. Natürlich gibt es auch mal Stress wie bei jeder Arbeit oder Ausbildung. Aber die Nachteile sind so, dass ich sie wenig bemerke.
Man sagt ja, dass Arbeit Integration fördern soll. Welche Erfahrungen haben Sie nach Ihrer Integration in das AWO im Seniorenzentrum gemacht?
Das ist immer so eine Sache: Ich selbst denke, dass ich gut integriert bin. Aber manchmal fühle ich mich dann doch nicht so, wenn ich mal wieder nicht alles verstehe und öfters nachfragen muss. In diesen Momenten kommt dieses Gefühl, dass es zu schwer ist. Aber das muss nicht unbedingt mit Integration zu tun haben, manchmal ist es einfach zu viel. Man sagt ja „Deutsche Sprache, schwere Sprache“ (lachen) und ich kämpfe und versuche weiter durchzukommen.
Also ist die Sprache für Sie manchmal eine Barriere, aber ja auch ein Potential, weil Sie schon so viel gelernt haben.
Ja, und in der Arbeit ist es besonders schwer, da ich die Fachsprache der Pflege lernen muss und diese schnell verstehen muss. Wenn ich aber während der Arbeit Fragen habe, haben wir oft keine Zeit über diese zu sprechen, da wir unsere Arbeit weiter machen müssen und uns um die Bewohner*innen kümmern müssen. Im Team fühle ich mich wohl und umgekehrt sind viele froh, dass ich hier arbeite. Schon öfters wurde mir gesagt: ‚So jemanden wie dich brauchen wir hier.‘ (lacht)
Das ist schön, dass sich viele freuen, dass Sie im Seniorenzentrum arbeiten. Das Sie sich bei der Arbeit wohlfühlen, hilft Ihnen das auch bei der Integration in der Stadt Moers, wo Sie wohnen?
Nein, das ist schon ein Unterschied, ob ich arbeite oder draußen unterwegs bin. Aber ich lerne von den Bewohner*innen Sprichwörter, die ich im Alltag im Umgang mit Menschen auch verwenden kann (lacht).
Was bereitet Ihnen bei der Arbeit im Seniorenzentrum am meisten Freude?
Wenn die Senior*innen lachen oder wieder versuchen, meinen Vornamen richtig auszusprechen – das bereitet mir viel Freude. Und wenn ich mit ihnen zusammen sitze und frühstücke, das sind schöne Momente. Ich spüre, dass ich den Menschen helfe und freue mich so sehr, wenn sie mit ‚nassen‘ Augen sagen: ‚Vielen Dank mein Kind‘ oder ‚vielen Dank mein Sohn‘. Das gibt mir ein besseres Gefühl.
Ja, toll.Und über welche Themen sprechen Sie mit den Senior*innen?
Über viele unterschiedliche Themen. Zum Beispiel über Kleidung oder ganz typisch Deutsch über das Wetter (lacht). Oft Fragen mich die Bewohner*innen auch, was ich zuvor für einen Beruf gehabt habe und wir sprechen über meine und auch ihre Vergangenheit. Es gibt viele Themen, über die wir uns austauschen.
Was ist ihre größte Herausforderung? Was ist das Schwierigste für Sie?
Ich bin in einer ‚neuen‘ Ausbildung, die nicht nur für mich, sondern für alle Leute neu ist: Die generalistische Pflegeausbildung, die erst letztes Jahr in Deutschland eingeführt wurde. In dieser neuen Ausbildung benötige ich wirklich viel Unterstützung, nicht nur in der Schule, sondern auch auf der Arbeit. Und da wir hier immer viel zu tun haben, ist das nicht immer einfach. Dazu kommt, dass diese Ausbildung für mich eine noch größere Bedeutung hat als für manch andere: Diese Ausbildung ist für mich mein Leben, meine Chance hier. Für Manche ist es nur eine Ausbildung, aber für mich ist es alles in meinem Leben, um auch hier in Deutschland bleiben zu können.
Sie sind jetzt im ersten Ausbildungsjahr. Nach der Ausbildung werden Sie wahrscheinlich als Pflegefachmann arbeiten. Welche Perspektive haben Sie und welche Unterstützung wünschen Sie sich in Zukunft?
In meiner Ausbildung habe ich die Möglichkeit, vieles auszuprobieren. Ebenfalls werde ich vier Monate im Krankenhaus arbeiten. In der Kinderkrankenpflege ist es deutlich weniger Zeit, da sagt selbst unser Lehrer, dass dies zu wenig sei. Aber ein Großteil meiner Gefühle und meiner Arbeit gelten dem Altenheim und der Arbeit im Seniorenzentrum. Es ist schön, mit den Bewohner*innen zusammen zu sein, die ich hier jeden Tag sehe. Es ist nicht wie im Krankenhaus, wo jeden Tag ein anderer Patient kommt. Der Kontakt ist etwas Besonderes hier in der Einrichtung. Das ist mein Gefühl.
Vielen Dank Herr Roostaei, dass sie sich die Zeit genommen haben und für das schöne Gespräch mit Ihnen. Es war sehr interessant, Ihre Erfahrungen geschildert zu bekommen.
Ich möchte mich auch beim Projekt INAR für die Unterstützung bedanken. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen und es ist schön, dass wir uns wiederzusehen.
Ja genau, aufgrund von Corona konnten wir uns länger nicht sehen, sondern nur telefonieren. Dann sehen wir uns in Zukunft hoffentlich wieder öfter. Vielen Dank.